Gastbeitrag
Was Fußball und Behältermanagement gemeinsam haben
Langer Steilpass zum Tor: Optimierungsalgorithmen gehen weiter, als es jedes Excel-Genie könnte. Im Behältermanagement können sie das Auftreten von Engpässen fast halbieren, den Verlust von Behältern um bis zu 25 Prozent senken, weiß Gastautorin Jennifer Stead, Expertin für Behältermanagement beim Optimierungsspezialisten Inform.
Die Umlaufhäufigkeit lässt sich sogar verfünffachen. Doch wie im Fußball zählt das Teamspiel: Besonders effektiv arbeiten die Algorithmen im engen Zusammenschluss mit weiteren logistiknahen IT-Systemen. In der Verlängerung 2:1 knapp den EM-Titel verpasst: Das war dennoch Ende Juli der Abschluss einer großartigen UEFA-Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2022. Als eine der in Deutschland sicherlich am meisten diskutierten Sportarten ist Fußball vielen Interessierten und Laien als eine intensive Teamsportart bekannt. Auf gute Pässe und vorausschauende Zusammenarbeit kommt es an.
Auf den ersten Blick erscheint das Behältermanagement dazu vielleicht nicht als die naheliegendste Assoziation, davon einmal abgesehen, dass Behältermanager ihren Ladungsträgern täglich genauso hinterherrennen wie die Profisportler ihrem Fußball. Beim genaueren Betrachten offenbart die Analogie aber doch gewisse Stärken, die in der Logistik als Inspiration dienen könnten: In beiden Fällen braucht es den zentralen Blick aus der Vogelperspektive auf das gesamte Spielfeld. Und in beiden Fällen stimmt das Zitat von Kult-Trainer Jürgen Klopp: „Wie gut du bist, zeigt sich an schlechten Tagen.“
Firma zum Artikel
Behälter aus dem Abseits holen
Jeden Stakeholder – ob Kunden, Partner, die eigene Produktion oder ein Lager – jederzeit bedarfsgerecht mit Ladungsträgern zu versorgen, ist die primäre Aufgabe des Behältermanagements. Doch bereits einen Überblick über den Status und Standort jedes Behälters zu bekommen und dann auch zu behalten, ist in der Praxis meist mit enormem Aufwand verbunden, da ihre Daten oft unternehmensübergreifend verteilt in mehreren Systemen abgelegt sind. Dabei kann jeder Fehlpass das ganze Teamspiel ins Wanken bringen. Und so verschwinden Boxen, Paletten und Container viel zu häufig, lagern in großer Zahl am falschen Ort und fehlen dort, wo sie gerade dringend benötigt werden. An einem schlechten Tag – danke, Herr Klopp – kommt die Volatilität der Logistik noch hinzu: Transportverspätungen, eingehende Eilaufträge oder andere kurzfristige Änderungen erschweren die Planung.
Wer nur über eine sehr überschaubare Anzahl von Ressourcen und eine begrenzte Anzahl von Standorten verfügt, kann sich vielleicht noch mit Spreadsheets und Excel-Kalkulationen Abhilfe verschaffen. In den meisten Fällen, wenn zum Beispiel europaweit hunderttausende Behälter im Spiel sind, geraten auch die größten Tabellenexperten und regelbasierte Ansätze an ihre harten Grenzen. Aus der Erfahrung heraus, dass in Spitzenzeiten die Behälter ausgehen könnten, überbevorraten die Verantwortlichen hohe Sicherheitsbestände. Doch selbst wenn diese Dispositionsentscheidungen zentralisiert wurden, lässt sich die alltägliche Komplexität kaum überblicken. Jede Entscheidung wirkt sich auf zukünftige Entscheidungen aus. Die richtigen Behälter in der richtigen Anzahl zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen, kann da zu einer echten Herausforderung werden. Neueste Tracking-Technologien scheinen die Lösung zu sein, doch auch reines Verfolgen der Behälter hat zunächst keinen Einfluss auf deren Verfügbarkeit.
Diese komplexen Umgebungen erfordern algorithmisch unterstützte Planungssoftware, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen oder sogar automatisiert zu disponieren. Ganz im Sinne des ehemaligen niederländischen Profispielers Dennis Bergkamp: „Hinter jedem Kick vom Ball muss ein Gedanke stehen.“ Es braucht intelligente Bedarfsprognosen, dynamische Optimierungslogiken und ganzheitliche Transparenz. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass sich mit modernen Algorithmen auf Basis von Operations Research und Künstlicher Intelligenz beachtliche Ergebnisse im Behältermanagement erreichen lassen: Durchschnittlich gelingt damit eine Reduzierung von Behälterverlusten um 5 bis 25 Prozent, eine Verlängerung der Umlaufhäufigkeit der Ladungs- träger um 25 bis 500 Prozent sowie eine Verringerung von Last-Minute-Transporten um 8 bis 45 Prozent.
Algorithmen senken Transportkosten um ein Drittel
Noch größer werden die Effekte, wenn das Behältermanagement im engen Zusammenspiel mit weiteren Logistiksystemen geschieht und diese auch mittels intelligenter Algorithmen gesteuert werden. Als stärkste Mitspieler haben sich dabei Transport-Management-Systeme (TMS) erwiesen: Inform führte eine Projektstudie für einen europäischen Pooling-Betreiber durch, mit realen Daten von verschiedenen Depots und Ladungsträgern sowie tausenden Bedarfsmeldungen, Standorten und Transporten. Die Algorithmen simulierten damit optimierte Dispositionsentscheidungen und Transportaufträge über den gesamten Behälterkreislauf hinweg. Als ein wesentliches Ergebnis stellte sich heraus, dass das Unternehmen mit einem Gesamtüberschuss von 150.000 Behältern zweier Ladungsträgertypen operierte – eine riesige Menge an ungenutztem Betriebskapital. Diese beiden Typen stellten zwar die meistgenutzte Ressource des Unternehmens dar, lagen aber aufgrund der noch nicht optimierten Prozesse in entsprechender Überbevorratung vor. Die algorithmische Optimierung der Prozesse hatte in diesem Fall das Potenzial einer Erhöhung des Servicelevels von 60 auf 90 Prozent, bei einer gleichzeitigen Verringerung der Transportkosten und gefahrenen Kilometer um je fast ein Drittel.
Nachhaltigkeit im Blick
Mit den eingesparten Kilometern sind die Möglichkeiten zu Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks noch nicht ausgeschöpft. Intelligente Planungssoftware hilft, Sendungen zwischen Depots und anderen Standorten zu konsolidieren, was die Fahrzeugauslastung verbessert. Insbesondere reduzieren optimierte, bedarfsgerecht gesteuerte Behälterkreisläufe aber die folgenden CO2-Fallen: Dass Unternehmen zu viele neue Behälter kaufen, falsch disponieren und frühzeitig verlieren. Im Gegensatz zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in der Wüste – wer würde gekühlte Behälter schon in der prallen Sonne lagern? – zeigt sich der ökologische Mehrwert so glücklicherweise weit weniger kontrovers.
Der Beitrag erschien in materialfluss 10/22.