Transport
Automatisierung auf der letzten Meile
Der Lieferverkehr durch den stetig wachsenden Onlinehandel belastet die Städte zusehends. Das Nadelöhr letzte Meile bereitet Kommunen und Logistikern gleichermaßen Kopfzerbrechen. Der Microhub der Zukunft wird dieses Problem wirtschaftlich effizient lösen – der passenden Automatisierungstechnik sei Dank. Ein erstes erfolgreiches Last-Mile-Sortation-Projekt läuft in Göttingen.
Im Jahr 2021 hat die E-Commerce-Branche in Deutschland rund 87 Milliarden Euro umgesetzt, ein Zuwachs von etwa 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der interessantere Wert für Logistiker: 4,5 Milliarden Pakete wurden im vergangenen Jahr zugestellt – ebenfalls ein deutlicher Zugewinn. „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dieser Trend abflaut. Wohin die Reise geht, kann man an anderen Ländern beobachten, in denen es längst üblich ist, auch Lebensmittel online zu bestellen“, sagt Dr. Hendrik Thamer, Geschäftsführer des fünf Jahre alten Tech-Unternehmens Cellumation.
Was für Konsumenten bequem ist, wird für deutsche Innenstädte zu einem immer größeren Problem. Der zunehmende Lieferverkehr steht in deutlichem Widerspruch zum wachsenden Nachhaltigkeitsbedürfnis der Bevölkerung und der Idee von autofreien Innenstädten. Ein viel diskutierter Lösungsansatz sind Microhubs, zentrale Umschlagplätze in Innenstadtnähe, in denen Pakete konsolidiert werden, die dann mit emissionsfreien Fahrzeugen ausgeliefert werden.
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Viele Projekte gescheitert
Bislang kranken die meisten Umsetzungsversuche dieses Konzepts an einem eklatanten Wirtschaftlichkeitsproblem. Und das, obwohl sie aufgrund ihrer Vorteile für das Stadtklima und in Sachen Nachhaltigkeit häufig subventioniert werden. Microhubs rechnen sich nicht: Zu dieser Einschätzung könnte man gelangen, wenn man die Projekte der letzten Jahre betrachtet. Das liegt an knappen und dadurch sehr teuren Logistikflächen in Stadtlage sowie einem hohen Personalbedarf für die manuelle Sortierung von Paketen.
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Aus diesen Gründen sterben die meisten Pilotprojekte, sobald die oftmals großzügige Förderung durch Landesregierungen oder Kommunen ausläuft. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass KEP-Dienstleister und andere Logistiker meist auf Insellösungen statt auf eine Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren setzen. Zu groß erscheinen das Konkurrenzdenken und der Wunsch, sich selbst mit innovativen Konzepten zu profilieren. Diese Herangehensweise macht es Microhubs bisher weitgehend unmöglich, sich in Städten zu etablieren.
Kooperation und geeignete Flächen gefragt
Die Hebel zur Lösung dieses Problems sind klar identifizierbar. Es wird Zeit, dass urbane Umschlagplätze nicht länger als innovative Studien, sondern als langfristige Lösungen für die städtische Warenzustellung konzipiert werden. Das setzt voraus, dass alle relevanten Akteure – KEP-Dienstleister ebenso wie lokale Einzelhändler – an einem Strang ziehen und das Projekt gemeinsam schultern. Außerdem braucht es mehr Kreativität und Flexibilität bei der Auswahl geeigneter Immobilien, um die Kosten zu reduzieren.
Wie das funktionieren kann, zeigt London auf. Die britische Hauptstadt soll bis 2030 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Autoverkehr in der Metropole zunehmend eingeschränkt. Dadurch sind Paketzusteller gezwungen, Sendungen in Microhubs umzuschlagen und mit Lastenrädern auszuliefern. Die nötigen Flächen finden Logistikdienstleister in ehemaligen Parkhäusern oder Supermärkten. Das wäre auch für deutsche Städte denkbar, in denen es künftig zu ähnlichen Verkehrseinschränkungen kommen könnte.
Manuelle Sortierung rechnet sich nicht
Das klassische Intralogistikmodell für Microhubs, das bislang bei fast allen Projekten Anwendung findet, ist für viele potenzielle Immobilien jedoch ungeeignet. Derzeit werden Pakete und Waren an städtischen Umschlagplätzen größtenteils händisch auf die jeweiligen Routen verteilt. Manuelle Sortierung weist jedoch einen hohen Platzbedarf auf und erfordert in der Regel mehrere Dutzend Mitarbeiter, die in der Logistik kaum noch zu finden sind.
Die Lösung heißt Automatisierung: In Zukunft könnten kompakte und leistungsstarke „Sortiermaschinen“ das Platz-, Kosten- und Personalproblem auf der letzten Meile lösen. „Die meisten Kritiker, die Microhubs im Allgemeinen misstrauen, ziehen die Option Automatisierung gar nicht in Erwägung. Grundsätzlich wird der intralogistische Part dieses Modells komplett unterschätzt. Hier finden schon heute die Fortschritte statt, die das Konzept morgen profitabel machen werden“, sagt Hendrik Thamer.
Göttingen als Vorreiter
Wie der Microhub von morgen aussehen könnte, ist seit einigen Monaten in Göttingen zu beobachten. Dort hat der Logistikdienstleister Grünfuchs-Logistik in einem ehemaligen Möbellager einen zentralen Umschlagplatz eröffnet. Herzstück des Hubs ist die nur 6 Quadratmeter große Sortieranlage cv.Bulksort mit angeschlossenen cv.GO-Modulen zum Ausschleusen. Der Förder-Allrounder cv.GO schafft einen maximalen Richtungswechsel in 0,2 Sekunden ohne mechanische Anschläge.
Die Versandobjekte werden chaotisch in die Anlage hineingeworfen, automatisiert auf intelligente Routen sortiert und dann mit Lastenrädern und E-Scootern ausgeliefert. Dabei werden nicht nur E-Commerce-Sendungen bearbeitet. Auch lokale Einzelhändler sind in das Projekt involviert und erschließen sich über Same-Day-Delivery via Microhub einen neuen Vertriebsweg. „In Göttingen haben wir den ersten automatisierten Microhub Deutschlands auf die Beine gestellt. Wir sehen die Anlage als Vorbild für andere deutsche Städte. Gerade in Millionenstädten wie Berlin und Hamburg besteht ein großer Bedarf an automatisierten Lösungen auf der letzten Meile“, erklärt Thamer.
Automatisierung als Schlüssel
In Zukunft wird es in allen großen Städten Microhubs geben, in denen Sendungen aus verschiedenen Quellen konsolidiert und emissionsfrei ausgeliefert werden. Das entlastet die Kommunen, für die der wachsende Onlinehandel eine zunehmende Herausforderung darstellt. Im Gegensatz zum derzeit vorherrschenden Modell wird der Microhub von morgen mit automatisierter Fördertechnik ausgestattet sein, was den Platz- und Personalbedarf minimiert. Das löst das derzeitige Wirtschaftlichkeitsproblem zentraler Umschlagplätze.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 3/23