Software und Identsysteme
Autonome Fahrzeuge lernen, Ampeln zu erkennen
Volkswagen Autoeuropa ist eine der modernsten und hochentwickeltesten Fabriken von Volkswagen in Europa. Jeden Tag arbeiten auf dem Werksgelände über 5.000 Angestellte. Jedes Jahr werden dort fast 200.000 Fahrzeuge produziert.
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Das bedeutet, dass unzählige Fahrzeugteile und Fahrzeuge, welche die Teile transportieren, auf den labyrinthartigen Fluren der Fabrik unterwegs zu den jeweiligen Montageteams sind. Die Folge? Viel Verkehr – vergleichbar mit dem Straßenverkehr, der in einer Kleinstadt herrscht. Volkswagen Autoeuropa setzt daher zunehmend auf Automation. Viele der umherfahrenden Transporter sind FTS: intelligente fahrerlose Transportsysteme. Diese Systeme erledigen einen Teil der Transportaufgaben, während der andere Teil durch von Menschen gelenkte Routenzüge bestritten wird. Zur Regelung des Verkehrs an den Kreuzungen in der Fabrik musste eine Lösung erarbeitet werden, damit auch die FTS die Ampeln genauso erkennen können wie die Fahrer von den Routenzügen.
Volkswagen Autoeuropa ist mit dem Wunsch nach einer Lösung an Siemens herangetreten, die einerseits die Transportverkehrssicherheit durch geregelten Verkehr an Kreuzungen in der Fabrik erhöht, andererseits aber auch einen Grundstein für zukünftige weiterführende Automatisierung legen soll. Die Lösung ist eine Kombination aus Simatic RTLS und Ampeln, verbunden mit industriellen Controllern und der Location Intelligence Software, die die Verarbeitung von Verkehrsdaten und die sofortige und flexible Verwaltung von virtuellen Geofences in der gesamten Fabrik ermöglicht. Es ist gelungen, alte und neue Technologien zu verknüpfen, wodurch Verkehrsregeln an Kreuzungen in einer großen Automobilfertigung eingeführt und umgesetzt werden konnten.
Fokussierung auf höhere Sicherheitsstandards
Folgende Kennzahlen zeigen die Anzahl an Routenzügen und Transportfahrzeugen, deren Wege sich täglich und stündlich an dieser Stelle der Fabrik kreuzen:
- 120 Fahrzeuge kreuzen pro Stunde (FTS und Routenzüge)
- Verkehrsaufkommen für die Zuführung von Teilen an die Produktionslinie: mehr als 200 FTS und wachsend
Diogo Graça, Logistikplanungsspezialist bei Volkswagen Autoeuropa: „Der Fokus war weniger die Effizienz oder die Produktivität zu erhöhen. Es ging hauptsächlich darum, einen sicheren Fluss mit manuell betriebenen Fahrzeugen (Routenzüge) und autonomen Fahrzeugen (FTS) herzustellen. Lange vor der Einführung von FTS war der Bereich bereits bekannt für seine eingeschränkte Sicht und enge Korridore. Das Reaktionsvermögen unserer Fahrer der Routenzüge hat dabei öfters Unfälle verhindert. Seit wir allerdings die FTS einsetzen, ist es unmöglich geworden, einen flüssigen Betrieb zwischen unseren Logistiksystemen zu gewährleisten. Es war klar, dass wir eine Lösung finden mussten, die ein sicheres Kreuzen sowohl von Routenzügen als auch von FTS ermöglicht.“ Das System musste so gestaltet sein, dass es Fahrzeuge jederzeit stoppt, wenn andere ihren Fahrweg kreuzen.
Eine ertragreiche Partnerschaft trotz Pandemie
Auf Basis der Anforderungen von Volkswagen Autoeuropa hat sich Siemens mit Introsys S.A zusammengetan, um ein System zu entwickeln, das ein möglichst sicheres, hochverfügbares und zuverlässiges Produktionsnetzwerk darstellt. Es ist eine internationale Zusammenarbeit aus portugiesischen und deutschen Ingenieuren sowie Technikern von Volkswagen Autoeuropa, Siemens und Introsys entstanden.
Siemens hat Hard- und Software sowie Expertise im Bereich der Echtzeitortungssysteme bereitgestellt. Introsys baute darauf mit seinem Know-how in der Entwicklung und Programmierung auf und implementierte das System letztlich. Während des gesamten Prozesses war COVID-19 eine immerwährende Herausforderung. Der Großteil der Entwicklungs- und Implementierungsarbeit wurde unter den pandemiebedingten Einschränkungen gestemmt. Diogo Graça meint dazu: „Alles wurde während des Sommer-Lockdowns 2021 umgesetzt. Und neben den Einschränkungen, welche die Pandemie mit sich gebracht hat, wurde es zusätzlich zur Herausforderung, die Techniker von Deutschland nach Portugal zu bekommen.“
„Die Arbeit während der Pandemie war besonders schwer, gerade in der Anfangszeit der Implementierungsphase, als der Großteil der Belegschaft von zuhause gearbeitet hat – man musste aus der Ferne die Montage der Hardware (Gateways, Transponder etc.) im Betriebsgelände steuern und zusätzlich alle Freigaben und Unterschriften einholen, damit das Projekt vorwärts ging.“
Die alles verändernde Kombination: Ultra-Breitband-Gateways und Echtzeit-Ortungs-Software
Nelson Alves, Automationsingenieur von Introsys, war einer der Ingenieure, der mit der Aufgabe betraut war, das System in der Fabrik zu integrieren. Er hebt besonders die Wichtigkeit der spezifischen Wahl der Gateways hervor: „Das kabellose Ortungsnetzwerk musste auf dem Fabrikgelände und in der Fertigung platziert werden, wo zahllose WLAN-Netzwerke und automatisierte Maschinen parallel am Arbeiten sind. Dass die Wahl auf Ultra-Breitband-Gateways (UWB) von Siemens gefallen ist, liegt daran, dass diese in der gegebenen Umgebung störungsfrei betrieben werden können. Die Gateways arbeiten nämlich in einem komplett anderen Frequenzbereich. Das ist wichtig, denn jede Störung des Verkehrs von Routenzügen oder der FTS würde einen Produktionsstopp zur Folge haben.“
Die UWB-Technologie war also der springende Punkt in diesem Projekt. Aber was ist mit dem Rest? Wie hat man einem FTS beigebracht, „die Straße zu überqueren“? In dieser speziellen Kreuzung bei Volkswagen Autoeuropa, wo diese Softwarelösung zuerst getestet wurde, arbeiten derzeit etwa 15 FTS – Tendenz steigend.
Laut Nelson Alves und António Ascenção Castro, Digital Connectivity Ingenieur von Siemens, steht und fällt alles mit kontinuierlichen Befehlen, ob der FTS sich bewegen soll oder nicht. Sie haben weder optische Sensoren noch eine optische Erfassung von Ampeln. Sie orientieren sich ausschließlich an den Geofences, die als Alarm funktionieren, wenn ein Objekt den Bereich kreuzt. Die Daten werden vom System gelesen und ein Befehl zum Stoppen wird an das FTS geschickt.
Die Gateways müssen einwandfrei funktionieren und die Software muss extrem zuverlässig sein. Die Hardware von Siemens, also die Gateways RTLS4030G, wie auch die Transponder RTLS4030T und RTLS4060T auf den Fahrzeugen, war neben der Location Intelligence Software mit das Wichtigste im Projekt. Dadurch war es möglich, Geofences zu installieren, die Bewegungen von verschiedenen Fahrzeugen in Echtzeit verfolgen und die Prozesse und Routen in der Werkslogistik optimieren.
Was musste von Grund auf entwickelt werden? Laut Nelson Alves war alles an benötigter Ortungs- und Kommunikationstechnologie bereits von Siemens entwickelt worden. Die Programmierung für alle spezifischen Systeme bei Volkswagen Autoeuropa musste allerdings von Grund auf erarbeitet werden. Jede Sekunde wurden ungefähr zehn Statusmeldungen zwischen allen Controllern und Plattformen ausgetauscht, die in das Echtzeit-Ortungssystem integriert wurden. António Ascenção Castro sieht im Ergebnis dieses Projekts ein Paradebeispiel für die Kooperation zwischen lokalen und internationalen Partnern: „Die Kooperation zwischen Volkswagen Autoeuropa, unser Kunde, und Introsys, die gemeinsam an der Lösung gearbeitet haben, hat gezeigt, wie gut es funktionieren kann. Ohne Zweifel, unser i-Experience Center Partnernetzwerk war dabei essenziell für die erfolgreiche Implementierung.“
Wie schnell hat sich die Belegschaft an die neue Lösung gewöhnt?
Eine gute Lösung ist eine, die alle schnell verstehen. Und geht es nach Diogo Graça, ist genau das erreicht worden: „Innerhalb von einer halben Stunde war jede Bewegung an dieser Kreuzung geordnet. Sobald die Arbeiter verstanden hatten, dass die Ampeln funktionieren, war der Verkehr effizient reguliert. Tatsächlich waren die Neuerungen sinnvoller als erwartet: Die Arbeiter waren angenehm überrascht und haben das Verkehrsleitsystem als neue Instanz zur Steuerung der Fahrzeugbewegungen begrüßt – und dabei sofort die erhöhte Sicherheit beim Passieren dieses Bereichs bemerkt.“
Die Mitarbeiter im Betrieb bestätigen, dass sich die Situation merklich verbessert hat. Vor dem Echtzeit-Ortungssystem war das Überqueren von Fahrwegen hier unorganisiert und prädestiniert für Unfälle. Inzwischen hat sich die allgemeine Meinung allerdings dahingehend geändert, dass man die gleiche Stelle nun gefahrlos überqueren kann. Außerdem war es sofort möglich, die Qualität aller Bewegungen auf den Fahrwegen zu kontrollieren. Alles in allem war die Zusammenarbeit zwischen Volkswagen Autoeuropa, Siemens und Introsys ein weitreichender Erfolg.
Letztlich hat Volkswagen Autoeuropa eine neue Lösung gewonnen, um Produktionsprozesse effizienter, sicherer und zukünftig auch schneller gestalten zu können. Ab sofort werden an dieser Kreuzung bedeutend weniger, wenn nicht sogar gar keine Unfälle mehr passieren. Introsys meint: „Das Feedback unseres Kunden war exzellent und sie planen, diese Lösung noch weiter auszubauen.“ Tatsächlich wurden bereits Anfragen gestellt, um dieses System auch in anderen Logistikbereichen von Volkswagen Autoeuropa zu implementieren, beispielsweise bei den automatischen Entlademaschinen im Lager.
Zukünftige Entwicklungen: der direkte Weg zur Datenanalyse
Das größte Weiterentwicklungspotential, das diese Lösung mit Simatic RTLS mit sich bringt, liegt in den Daten, die sie produziert. Diese Rohdaten können von vielen verschiedenen Analysetools ausgewertet und interpretiert werden, wodurch Überwachung und Kontrolle des Systems möglich werden. Neben dem Testen von Simulationen können damit Routen geplant, umgeleitet und verändert werden – quasi sofort und mit nur einem einzigen Tool.
António Ascenção Castro und Nelson Alves sagen dazu: „Die Analyse der Daten, die im System erfasst werden, kann auf alle Arten von Fahrzeugen angewandt werden: Reinigungswagen, Support-Fahrzeuge – sogar auf Fahrräder, die innerhalb der Fabrik genutzt werden. Die Tracking-Tools dieser Fahrzeuge erfassen kontinuierlich simple, aber sehr wertvolle Daten.“ Eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit konnte auf dem Fabrikgelände durch das Echtzeit-Ortungssystem ebenfalls eingeführt werden.
Die Montagelinie arbeitet nach dem Just-in-time-Prinzip, sodass es extrem hilfreich ist zu wissen, welche Teile sich zu welchem Zeitpunkt wo befinden. Auch die Möglichkeit, den Fahrzeugen alternative Routen vorschlagen zu können, sofern es notwendig wird, kann den Materialfluss positiv beeinflussen. Solange die notwendigen ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Verwendung der Daten geklärt sind, ist das Potenzial dieser Datenanalyse für Managementzwecke unbegrenzt.
Autor: António Ascenção Castro, Digital Connectivity Ingenieur, Siemens
www.siemens.de/rtls