Cobot
Ein langer Arm und ein gutes Auge
60 Hände sortieren täglich im Vertriebszentrum VZ West von Würth viele Schachteln mit Schrauben, Muttern und anderen Verbindungselementen. Nun hat sich ein kollaborativer Roboter dazugesellt und übernimmt zum Teil die Arbeit. Die Ergonomie des Arbeitsplatzes hat sich deutlich verbessert. Schmalz brachte dem Cobot das Sehen, Greifen und Sortieren bei.
Als Würth das Vertriebszentrum VZ West am Standort Künzelsau-Gaisbach im Mai 2013 eröffnete, versprach Norbert Heckmann, Sprecher der Geschäftsleitung von Adolf Würth, unter anderem, dass die Mitarbeiter von den Innovationen des Neubaus profitieren würden. Das Tagesgeschäft sollte einfacher werden. Dafür integrierte Würth moderne Technik und gestaltete die Arbeitsplätze ergonomisch. Das Ziel, nachhaltig auch mit der Ressource Arbeitskraft umzugehen, war aber noch nicht endgültig erreicht. Der Spezialist für Montage- und Befestigungstechnik überprüft fortwährend, ob Aufgaben zu monoton oder körperlich belastend sind. Im Wareneingang des Vertriebszentrums VZ West arbeiten pro Tag 30 Personen im Zwei-Schicht-Betrieb und bewegen rund 3.000 Schachteln. Sie stapeln die 500 bis 5.000 Gramm schweren quaderförmigen Kartons voller Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben und Stahlbauelemente von Paletten in Kleinladungsträger (KLT). „Die Gesamtlast eines Mitarbeiters beträgt über die Schicht verteilt mehrere Tonnen. Ebenso belastend ist die Eintönigkeit der Tätigkeit“, verdeutlicht Roland Schneider, Abteilungsleiter Technische Abteilung bei Adolf Würth. Bis dato war die konsequente Rotation nach vier Stunden das beste Mittel, um die Eintönigkeit der manuellen Abwicklungen zu unterbrechen. Zur Entlastung der Mitarbeiter, zur Bewältigung des weiteren Wachstums und um den Mangel an Fachpersonal zu kompensieren, erhöht Würth den Automatisierungsgrad in der Logistik.
Wirtschaftliche und praxisgerechte Automatisierung
Schmalz in Glatten stellte sich der Aufgabe, den bestehenden manuellen Handhabungsprozess intelligent zu automatisieren. „Das Umsetzen unterschiedlich großer Kartons verschiedenen Gewichts ist die ideale Aufgabe für unseren Bin-Picking-Greifer SBPG“, erklärt Matthias Frey, Business Development Robotik. Der SBPG ist ausreichend lang, um in die Kisten einzutauchen, und leicht genug, um die Traglast kleinerer Roboter nicht allzu sehr zu reduzieren. So kann ein raumsparender Cobot von Universal Robots den Greifer führen, während das Vision-Eco-System for Schmalz VE4S das Sehen übernimmt. Indem Schmalz auf Standardkomponenten aus dem Bereich Robotik und Vision zurückgreift, erhält Würth eine wirtschaftliche Lösung, die dank der plug-and-play-fähigen Systeme schnell implementiert ist – ohne großen Engineering-Aufwand.
Artikel zum Thema
Das Konzept stand rasch, wobei zwei Details das technologische Know-how von Schmalz besonders forderten: zum einen das Picken aus der Palette und das enge Setzen der Pakete in die Kisten trotz hoher Varianz, zum anderen das Erkennen einer Zwischenlage mit unbekanntem Aufdruck. Zusätzlich erschwerend hierbei ist, dass das Design der Zwischenlagen dem der Schachteln ähneln kann. „Der einzige Ansatz, der hier prozesssicher funktioniert hat, war der Einsatz von künstlicher Intelligenz“, erklärt Frey. Das definierte Setzmuster realisierte Schmalz mit einer werkstückspezifischen Programmierung: Würth begann zunächst mit einem begrenzten Teilespektrum, das die erste Zelle zu 100 Prozent auslastet. Dann wurde die Pick-Leistung der Folgezellen optimiert und das Teilespektrum für die automatisierte Einlagerung erweitert. Dagegen waren die Herausforderungen durch die engen Platzverhältnisse am Einsatzort und die zusätzliche Aufgabe, die leeren Behälter von einem Kistenband zu holen, verhältnismäßig einfach zu erfüllen. Denn ein Laserscanner macht einen Sicherheitszaun überflüssig und sorgt für eine schlanke Zelle. Sobald sich eine Person nähert, verringert der kollaborative Roboter seine Geschwindigkeit und arbeitet mit reduzierten Kräften sicher weiter.
Ein System, drei Greifer – Flexibilität für alle Kartongrößen
Um die unterschiedlichen Greifaufgaben zu erledigen, kann der Cobot selbstständig die Sauger des Bin-Picking-Greifers SBPG sowie – dank des Match-Schnellwechselmoduls – den ganzen Greifer tauschen. „Ein Lastaufnehmer ist immer am Roboterarm, während der andere im Greiferbahnhof wartet. Ist beispielsweise eine Kiste zu bewegen, holt sich der Cobot den dafür konzipierten PXT-Greifer. Dank der standardisierten Anbindung und Kommunikation ist dieser direkt einsatzbereit“, erklärt Frey. Dem SBPG stehen drei Sauger zur Verfügung, der SAOF oval, der SPB1 60 und der SPB1 80, sodass der Roboter jede Kartongröße sicher handhaben kann. Das benötigte Vakuum stellt der pneumatische Vakuum-Erzeuger RECB bereit; seine integrierte SEP-Düse sorgt für einen effizienten und möglichst energiesparenden Betrieb. Schmalz implementierte eine Software, über deren Bedienoberfläche die Mitarbeiter den aktuellen Auftrag eingeben. Die Software kommuniziert mit der Kamera, dem Cobot und dem Sicherheitslaserscanner und passt nach der Eingabe die Robotersteuerung und die Kamera an die Aufgabe an. Derzeit werden rund 30 Prozent des umfangreichen Warensortiments abgedeckt – Tendenz steigend. Würth steuert über die Software das gesamte Auftragsmanagement der Roboterzelle. Weitere Features sind die Zielbehälterkontrolle, bei der die Kamera prüft, ob der bereitgestellte KLT wirklich leer ist, das Erkennen und Entnehmen der Zwischenlagen aus der Quellkiste sowie der Kollisionscheck. Die Software berechnet die Wegpunkte, die der Roboter anfährt, und checkt mithilfe des digitalen Zwillings, ob es zu Kollisionen kommt. Ist dies der Fall, umgeht sie die Hindernisse und legt neue Wegpunkte fest.
Der Cobot ist seit gut einem Jahr im VZ West in Betrieb. Das Personal im Wareneingang ist begeistert und hat den Roboter in die täglichen Abläufe eingebunden. Die Mitarbeiter fahren mit dem Hubwagen eine Europalette mit Schachteln in den vorgesehenen Bereich. Die Kartons sind zwischen 100 und 250 Millimeter lang, 90 bis 100 Millimeter hoch und 90 Millimeter breit. Den KLT-Zielbehälter holt sich der Roboter selbst von einem Förderband. Die Roboterzelle füllt so viele KLT-Behälter, bis die Europalette geleert ist. Beim Abschieben auf die Fördertechnik werden die Behälter gescannt und im SAP-System verbucht. Diese Lösung zeigt, wie ein kollaborativer Roboter in Kombination mit einem Kamerasystem und der richtigen Programmierung zur Mitarbeiterentlastung beiträgt.