Flurförderzeuge
Materialfluss Round Table: IFOY, hurra! So sehen Sieger aus
Am Abend des 9. Mai feierte die Branche die Gewinner der IFOY Awards 2017. Am Morgen danach lud Materialfluss zum Sieger-Round-Table. Vorhang auf für ein Gespräch über Produkte, Innovationen und Branchenvisionen.

Oliver Kneidl, Herausgeber von Materialfluss – das Magazin für Intralogistik und Martin Schrüfer, Leitender Chefredakteur, begrüßten zur vormittäglichen Runde im Konferenzraum A110 der Messe München Thomas A. Fischer, Geschäftsführer Sales & Marketing (CSO) der Still GmbH, Uwe Schildheuer, Geschäftsführer Torwegge GmbH & Co. KG und Dr. Lars Brzoska, Mitglied des Vorstands der Jungheinrich AG und dort verantwortlich für den Vertrieb. Die Herren kamen erwartungsgemäß gut gelaunt und optisch wie sprachlich gar nicht feiergeschädigt zum Gespräch. Thomas A. Fischer und Lars Brzoska hatten sogar die Trophäen mitgebracht. Rasch entspann sich eine muntere Diskussion, die an ihrem fulminanten Ende sogar die Zukunft der Intralogistik erreichte.
„Wer gewinnt, ist ein gut gehütetes Geheimnis“
Materialfluss: Eine Frage, die viele unserer Leser brennend interessiert und die immer wieder heiß diskutiert wird: Der Mythos „Niemand weiß vor der Verleihung, wer gewinnt“ – Stimmt das wirklich?
Thomas A. Fischer:Themen im Artikel
Ja, absolut.
Lars Brzoska: Ja, das ist ein gut gehütetes Geheimnis und das ist auch gut so.
Uwe Schildheuer: Wir waren ja das erste Mal mit dabei und ich dachte zunächst, dass das schon irgendwer vorher erfahren wird. Aber nein, die Spannung war bis zuletzt hoch.
MFL: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie den Namen Ihres Unternehmens vernommen haben?
Schildheuer:
Das war für uns ein absolutes Highlight, zumal wir als Newcomer in der Staplerbranche gegen einen Giganten gewonnen haben. Allein die Nominierung zu erhalten, war großartig.
Brzoska: Wenn man den Namen des eigenen Unternehmens hört, ist das eine Riesenfreude und eine Erleichterung, denn natürlich hofft man, in bestimmten Kategorien zu gewinnen. Es ist schön, nach einem harten Test die Bestätigung einer neutralen Expertenjury zu erhalten. Der IFOY und der Bewertungsprozess haben sich weiterentwickelt, das spürt man: Die Transparenz und die Begründung ist mehrdimensionaler und umfangreicher, mittlerweile. Das erhöht die Freude!
Fischer: Ich schließe mich dem Vorredner an. Der IFOY ist ein Anreiz für unser Team, weiterzumachen und noch besser zu werden. Zu meinen ersten Gedanken: Da man ja auch mal in einem Jahr leer ausgehen kann, freut man sich über ein Double umso mehr, das ist nicht nur im Fußball so.
Torwegge: Sieg gegen einen Giganten
MFL: Herr Schildheuer, Sie machen als Newcomer den Anfang ... Was bedeutet es, gegen einen Giganten wie SSI Schäfer gewonnen zu haben?
Schildheuer:Wir haben das Fahrzeug in seiner autonomen Version erstmals auf der LogiMAT vorgestellt und kommen jetzt in die Projektgespräche. Die Auszeichnung wird uns tragen, denn plötzlich traut man uns durch den Gewinn auch die Qualität des Produkt mehr zu. Jetzt gilt es, diese in den Installationen bei den Kunden umzusetzen. Wir müssen das Vertrauen, das die Jury in uns gesetzt hat, im Alltag beweisen.

MFL: Über welchen Zeitraum reden wir? Schildheuer: Das Interesse am Fahrzeug war seit der Präsentation enorm hoch. Die Industrie findet unseren TORsten toll und ab Oktober sind wir lieferfähig.
MFL: Welche Rolle spielt der Sieg über einen Marktführer wie SSI Schäfer, der ebenfalls nominiert war? Schildheuer: Die handelnden Personen dort und wir kennen uns seit mehr als 25 Jahren – man schätzt und respektiert sich. Aber natürlich ist das wie beim Doppelsieg für Still für uns etwas Besonderes, gegen so einen Mitbewerber gewonnen zu haben. Und jetzt wird das Produkt verkauft (lacht).
Still: Kostensparend und gut angenommen
MFL: Herr Fischer, Sie haben in der Kategorie Sonderfahrzeuge gewonnen. Ist das der Ingenieur in Ihnen, der sich da freut? Oder der Geschäftsmann?
Fischer:So ein Projekt ist etwas anders als ein Elektrogegengewichtsstapler, denn hier reden wir über eine sehr spezielle Lösung, die ein sehr kleines Team entwickelt hat. Die Lösung reduziert Kosten und wurde vom Kunden gut angenommen. Letztlich geht es nicht um die Technologie, sondern den Nutzen für den Anwender. Was man auch daran erkennen kann, dass unsere Lösung beim Kunden Stapler ersetzt, die vormals dort verwendet wurden.
Brzoska: Hoffentlich nicht unsere (lacht).
Fischer: Wir machen da keinen Unterschied, wenn es die optimale Lösung so will, ersetzen wir auch unsere eigene Flotte. Wer nicht ausschließlich im Kundeninteresse entwickelt, verliert.
MFL: Herr Fischer, Was sagt der Kaufmann in Ihnen zu solchen Sonderlösungen? Steckt da viel Marge drin oder sind das eher Prestigeaufträge? Fischer: Im Sondermaschinenbau gibt es durchaus spannende Margen. Diese Lösungen gibt es nicht einfach so auf dem Markt zu kaufen. Unser Geschäft lebt allgemein von den Applikationen für den Kunden, sprich deren Wünschen. Möglichst schnell auf Klein- oder Großserien zu schielen, ist der falsche Ansatz.
MFL: Gibt es bei den Sonderanfertigungen trotz aller Unterschiedlichkeit einen allgemein gültigen Trend? Fischer: In diesem Fall geht es um Routenzuglösungen. Diese sind zu rund zwei Dritteln immer kundenspezifisch. Einsatz, Applikation und Ladungsträger müssen abgestimmt werden.
Schildheuer: Auch wir sehen, dass wir bei den Ladungsträgern sehr kundenspezifisch agieren müssen. Das war auch der Grund bei der Konzeption von TORsten, die Plattform von dem Unterbau zu entkoppeln. Damit wird die Fahrkomponente wiederverwendbar und für unterschiedliche Aufgaben nutzbar.
MFL: Herr Fischer, wie schnell ging die Entwicklung? Fischer: Schnell. Die Anforderungen müssen in wenigen Wochen entwickelt und getestet werden. Wir reden da über einen Projektlauf von wenigen Monaten.
Jungheinrich mit einer preisgekrönten Idee: Staplerortung leicht gemacht
MFL: Herr Brzoska, die Idee für Staplerortung, für die Jungheinrich in der Kategorie Special of the Year ausgezeichnet wurde, hätte man ja schon früher haben können. Warum erst jetzt?
Brzoska:Das ist meistens so. Die Idee entstand daraus, dass sich eines unserer Teams, das sich mit Digitalisierung beschäftigt, aus einer Kundenanfrage heraus über die Staplerortung nachgedacht hat. Wir sind kundenorientiert, l’art pour l’art gibt es schon lange nicht mehr. Kosten sparen, Produkte sicherer zu machen, das verkauft später. Und daran hat sich unsere Lösung orientiert, die keine Rocket Science ist. Aber sie hat Features, die besser funktionieren als vergleichbare Ideen. Über eine einfache Implentierbarkeit wurde großer Kundennutzen generiert. Wir stellen fest, dass jeder über Industrie 4.0 redet, es aber immer noch Kunden gibt, die nicht mal auf einen Blick wissen, wie viele Stapler sie haben oder wo diese gerade stehen. Die fangen dann zum zählen an... Die Transparenz zu schaffen, kann ad hoc Kosten sparen.
MFL: Die Frage würde ich gerne an alle stellen: Wie fördern Sie in Ihren Unternehmen das Entstehen von Ideen? Schildheuer: Manchmal ist es der spontane Geistesblitz. Torwegge hat vor 16 Jahren als Händler von Räder und Rollen begonnen und sich dann über Themen wie Ergonomie in die Intralogistik entwickelt. Aus einem der kundenspezifischen Projekte ist TORsten entstanden, entscheidend war ein kleines, agiles Team, dem wir weitreichende Entscheidungsfreiheiten für das Projekt gaben. Das schafft Begeisterung in den Teams.
Fischer: Die Frage ist, wie man als Geschäftsführer solche Ideen so organisiert, dass sie wachsen können. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, die Teams, die sich um Digitalisierung kümmern, nicht aus den Teams des klassischen Maschinenbaus zu besetzen. Das zu trennen, macht Sinn.
Autonomie ist im Kommen – aber auch gewollt?

MFL: Herr Fischer, lassen Sie uns über den Sieger der Kategorie Warehouse Truck, den iGo neo CX20, sprechen. Wie geht es mit dem Produkt, das seit seiner Präsentation zur LogiMAT 2016 für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat, weiter?
Fischer:Mittlerweile gibt es bereits Software-Updates, die wir den Kunden zur Verfügung stellen. Das Gerät ist ein klassischer Horizontalkommissionierer, die Besonderheit steckt in den Sensoren und in der Intelligenz. Gemeinsam mit unseren Kunden entwickeln wir diese weiter und unsere Kunden profitieren durch Software-Updates davon. Es gibt nie einen Stand, zu dem man „fertig“ ist.
MFL: Gibt es bereits Abstrahleffekte auf weitere Produktlinien? Fischer: Die Nachfrage nach autonomen Fahrzeugen gibt es nicht nur im Kommissionierbereich, sondern betrifft auch andere Bereiche, wie z. B. Routenzüge, Schlepper und so weiter. Wir arbeiten dran. Vielleicht noch ein Wort zur Entwicklung. Das war im Gegensatz zum Special Vehicle eine jahrelange Grundlagenarbeit, die fast über zehn Jahre lief.
MFL: Wie laut ruft der Kunde nach fahrerlosen Lösungen, Herr Brzoska? Die Frage wird quer über die Branche sehr kontrovers diskutiert? Brzoska: Wenn wir uns die Marktgröße von AGVs anschauen, also mannlose automatisierte Fahrzeuge, ist dieser noch überschaubar groß. Er wächst aber stark. Wir können das mit anderen Produkten wie beispielweise bei Lithium-Ionen-Akkus vergleichen. Es gibt zunächst eine Phase, da wird jahrelang drüber gesprochen und munter vor sich hin entwickelt, zeigt diese, gewinnt Awards und bekommen aber keine Absatzkurve hin. Doch diese folgt dann später, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Wir reden über Evolution und werden starke Steigerungsraten sehen. Der Zwang zu weiteren Kosteneinsparungen ist enorm. Und das gilt nicht nur für die Hochlohnländer. Autonome Fahrzeuge fahren dreischichtig, da lässt es sich schnell rechnen, wann sich der Einsatz gegenüber dem Mensch-Modell lohnt.
MFL: Pflichten Sie bei, Herr Schildheuer? Schildheuer: Auf jeden Fall. Der Durchbruch steht direkt vor der Tür. Die technologischen Voraussetzungen sind mittlerweile so robust, dass sie industrietauglich sind. Zweitens ist die Flexibilität so hoch, dass sie sich in bestehende betriebliche Umfelder einfügen können. Früher haben Automatisierungen, beispielsweise durch Fördertechnik, große bauliche Veränderungen in den Lagern mit sich gebracht. Das ist heute nicht mehr nötig.

Über Lohnkosten zu reden, ist das eine. Die Frage ist vielmehr, ob Sie überhaupt noch Mitarbeiter für diese vergleichsweise „einfachen“ Tätigkeiten finden.
Schildheuer: Ja, Zustimmung. Wenn die Auftragsvolatilität durch den E-Commerce beispielsweise mit seiner Same-Day-Delivery, steigt, müssen Sie das mit Personal auffangen. Doch das klappt in der Regel nicht mehr, weil der Markt an guten Kräften leer ist.
Fischer: Der iGo neo ist bewusst kein AGV, sondern bewegt sich „nur“ autonom. Hier arbeiten Mensch und Maschine zusammen. Die Talente des Menschen beispielsweise beim schnellen und akkuraten Kommissionieren mit denen einer Maschine zusammenzubringen, darum geht es. Insofern glaube ich, dass der iGo neo auch im Volumensegment eine Rolle spielen kann.
MFL: Die Wissenschaft würde, säße sie hier mit uns am Tisch, sicherlich argumentieren, dass der Mensch im Lager die Abläufe eher stört ... Schildheuer: Ich denke nicht, dass die Wissenschaft das immer noch denkt. Kollaborative Systeme haben mittlerweile auch Wissenschaftler akzeptiert. Der Griff ins Regal wird in der Masse vom Menschen erfolgen.
Brzoska: Möglich ist heute vieles, aber es ist nicht wirtschaftlich – gerade, was das Thema Picking angeht. Die Balance zwischen schick und nützlich zu finden, darum geht es.

Der Hype um Industrie 4.0 hat sicher einen wahren Kern. Wir als Unternehmer müssen uns aber eine Frage stellen, die wir übrigens nicht allein lösen können: Was bedeutet das für die Arbeitswelt? Wie wird diese organisiert? Wenn wir alles automatisieren, muss das von der Politik und der Gesellschaft diskutiert werden. Diese Komponente ist für uns als Unternehmen eminent wichtig.
MFL: Herr Fischer, was wollen Sie unternehmen, um nach dem Doppelsieg 2017 kommendes Jahr zu Jungheinrich aufzuschließen? Seit der ersten Verleihung des IFOY 2013 hat Jungheinrich kumuliert sieben Trophäen gewonnen, Still aber nur sechs ... Fischer: Das ist jetzt aber eine bittere Nachricht. (lacht)
MFL: Darum haben wir sie bis zum Schluss aufgehoben. Vielleicht tröstet Sie der Gedanke: Andere namhafte Hersteller konnten erst zwei oder drei IFOYs einsammeln ... Fischer: Ok, also kamen 13 von 22 bisher vergebenen IFOYs aus Hamburg, wenn ich richtig rechne. Am Flughafen Hamburg gab es lange eine Werbetafel, die Hamburg als Europas Hauptstadt für Gabelstapler anpries. Insofern spornt mich das an, dass wir gemeinsam so viele Trophäen gewonnen haben und arbeite an weiteren. (lacht)
Viele Nomierte, viel Ehre ...
MFL: Was wünschen Sie sich für den IFOY 2018?
Brzoska:Wie eingangs erwähnt, hat sich die Jury weiterentwickelt und den Prozess geschärft. Das finden sicher alle gut, denn je härter und transparenter die Jury arbeitet, umso wertvoller ist der Preis. Ich wünsche mir, dass im nächsten Jahr viele Unternehmen mitmachen, wir schätzen den Wettbewerb sehr.

Fischer: Ich schließe mich Herrn Brzoska an. In der Jury fehlt mir aber ein Mitglied aus Frankreich, ein Land, das für uns einen wichtigen Markt darstellt. Das würde ich mir wünschen.
MFL: Das sehen wir genauso. Ja, der Award hat mit seiner Liebe zum Detail Maßstäbe gesetzt im Vergleich zu manch einer Leserwahl mit ein paar hundert Einsendungen. Gerade die Internationalität der Jury und der Innovation-Check bringt viel Wissen ein. Wir danken sehr für das Gespräch und wünschen eine gute Heimreise.
Das Gespräch führten Oliver Kneidl und Martin Schrüfer.
JM Fachmedien und der IFOY
JM Fachmedien, Herausgeber der Fachzeitschriften Materialfluss, LT-manager und Baugewerbe Unternehmermagazin, ist seit 2014 Partner der IFOY Awards. 2014 machte LT-manager als Medienpartner den Anfang, 2015 folgte Materialfluss und Martin Schrüfer, Leitender Chefredakteur, ist seit 2016 Mitglied des Beraterstabs der Jury.Die Reihe Materialfluss Round Table ist eines der Markenzeichen dieses Magazins. Zuletzt erschien in Ausgabe 4/17 ein Round Table zum Thema Grüne Logistik. Der kommende Round Table wird Innovationssprünge in der Förder- und Hebetechnik, hier im Besonderen bei Kranen und Komponenten, beleuchten. Der Beitrag erscheint in Materialfluss Ausgabe 8-9/17 am 21. September.