Aus materialfluss 4/2020

Logistik und Produktion werden eins

„Je mehr Bauteile wir fertigten und je komplexer die Produktion wurde, desto mehr wurde sie zu einem schwarzen Loch“, erinnert sich Kevin Möser, COO bei der Vacom GmbH. Das 1992 in Jena gegründete Unternehmen fertigt Komponenten für Anwendungen im Hochvakuum bis ins Ultrahochvakuum. Die Verknüpfung von WMS und MES und viel Knowhow von viastore Software schaffte die Voraussetzung für „Smart Factory“.

Die neue Produktionshalle von Vacom wird zur Smart Factory ausgebaut. Die Verknüpfung von WMS und MES schafft eine transparente Fertigung, erleichtert Arbeitsschritte und ermöglicht Effizienzgewinn. © viastore

Vacom ist mit Erfolg unterwegs, denn der Bedarf an ultra-reinen Vakuumbauteilen besteht in immer mehr Branchen – zum Beispiel in der Forschung, bei der Chipherstellung oder für die Beschichtung von Optiken und Displays. Heute beschäftigt Vacom rund 350 Mitarbeiter und gehört zu den führenden euro­päischen Anbietern von Vakuumtechnik.

Hochkomplexe Fertigung
„Unsere Produkte sind äußerst komplex, sie bestehen teilweise aus mehreren hundert Komponenten“, erklärt Möser. Die meisten dieser Komponenten produziert Vacom in Losgrößen von bis zu 1.000 Stück selbst. „Komplexe Produkte wie unsere ­Kugel- oder Zylinder-Vakuumkammern fertigen wir maß­geschneidert.“ Die typische Losgröße liegt hier bei einem bis maximal zehn Stück. „Serienmäßigen Prototypenbau“ nennt Kevin Möser das. Die Halbfertigteile wechseln im Fertigungsprozess wiederholt zwischen den einzelnen Maschinen hin und her. Eine klassische Linienfertigung ist nicht möglich. Auch klassische Produktionssteuerungen wie Kanban sind bei Vacom nicht anwendbar, da an einer Station selten das gleiche Bauteil benötigt wird. Daher mussten die Mitarbeiter zu Beginn einer Auftragsbearbeitung das Material vollständig zusammenstellen und anschließend über die verschiedenen Maschinen und ­Arbeitsplätze verteilen.

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Materialsuche frisst zu viel Zeit
„Wir haben die Halbfabrikate und Rohmaterialien in die Fertigung gegeben und bekamen ein Endprodukt heraus“, beschreibt Möser. „Zwar wussten wir, was in der Produktion passierte, aber nicht, wo sich die einzelnen Materialien zu welchem Zeitpunkt befanden.“ Vacom konnte daher nur schwer auf Änderungen reagieren. „Unsere Mitarbeiter verbrachten viel Zeit damit, Bestandteile zu suchen und an ihren Arbeitsplatz zu schaffen. Das ging so weit, dass wir pro Schicht mindestens einen Kol­legen hatten, der nichts anderes tat, als Material zu suchen“, ­resümiert er. Bei einer Produktionsmannschaft von damals 50 Personen war das eindeutig zu viel.

Sechs Transportroboter versorgen die rund 45 Arbeitsstationen in der Produktion. Gesteuert werden sie durch das WMS viadat, das wiederum den Transportauftrag vom MES erhält © viastore

Auf dem Weg zur Smart Factory
Vacom entschied sich, die Produktion in eine „Smart Factory“ zu wandeln. Dazu generierte Möser mit seinem Team zunächst eine transparente Fabrik: In einem digitalen Abbild haben sie definiert, wie die einzelnen Komponenten durch die Fertigung laufen sollten und welche Arbeitsschritte durchzuführen sind. „So wird ersichtlich, wo sich was befindet, was aktuell gemacht wird und wer an welcher Maschine arbeitet“, legt der COO dar. Diese Daten bildeten die Basis für die zweite Stufe auf dem Weg zur intelligenten Fabrik – die Schaffung einer reaktionsfähigen Produktion. Dafür setzt Vacom auf das Manufacturing Execution System (MES) Hydra von MPDV sowie auf das Warehouse Management System (WMS) viadat von viastore Software, ­welches bereits das bestehende Automatiklager verwaltet. Das gemeinsame Datenmanagement von WMS, MES und ERP ­ermöglicht es, schnell auf Kundenänderungen oder neue ­Bedürfnisse zu reagieren.

2019 folgte die nächste Stufe zur Smart Factory: die selbst­regelnde Fabrik. Zunächst beabsichtigte Kevin Möser eine durchgehende Automatisierung der Produktionslogistik mit Transportrobotern. Dazu wandte er sich an viastore: „Die Fachleute erklärten, dass deren Einsatz in viadat Standard sei.“ Allerdings ging es in diesem konkreten Fall um die logistische Versorgung der Produktion. Dies bedeutete, dass das WMS nach jedem Arbeitsschritt einen Auftrag vom MES erhalten muss, um die Roboter zu steuern: „Jetzt verfügt viadat über eine Standard-Schnittstelle, die den Datenaustausch mit allen gängigen MES-Lösungen ermöglicht“, erklärt viastore-Projektleiter ­Simon Kallinger. „WMS, MES und SAP sind dabei gleichberechtigte Partner und haben eigene Entscheidungsbefugnisse“, betont Kevin Möser. „MES und WMS geben Informationen selbstständig weiter, ohne über SAP zu gehen.“ Sie regeln automatisch die Aufgaben für die 45 Arbeitsstationen in der Produktion sowie die sechs Transportroboter.

Zwei Systeme, die sich selbst regeln
SAP ist für die Auftragsgenerierung zuständig und übergibt die Fertigungsorder mit Stückliste an Hydra. Das MES übernimmt die Feinplanung – welche Maschine, welches Werkzeug, welches Material, welcher Mitarbeiter – und übermittelt anschließend eine Stückliste inklusive Terminierung an viadat. Dieses generiert Nachschubaufträge für den jeweiligen Bedarf pro Arbeitsgang, die im Supermarkt-Lager der Produktionshalle gepuffert werden. Das reduziert den Zwischenlagerplatz an den einzelnen Arbeitsstationen. Erst kurz vor der Verarbeitung erteilt das WMS einen Transportbefehl, und ein Roboter bringt das Material zur Arbeitsstation. Hier wird es nochmals in kleinen Regalen verwahrt, ehe es endgültig in die Bearbeitung geht. Der Werker stellt den fertigen Auftrag auf einem Ausgangspuffer ab und scannt ihn. Das löst eine Anweisung in viadat aus, so dass ein Roboter die Ware anschließend ins Supermarktlager oder direkt zur nächsten Arbeitsstation bringt. Simon Kallinger: „Wir haben damit ein echtes Just-in-Time-Konzept umgesetzt.“ Das wird einen gewaltigen Effizienzgewinn nach sich ziehen, steht für Kevin Möser fest. „Die Kollegen werden weder ihr Material zusammensuchen noch Kisten schleppen müssen. Alles was sie für den Produktionsschritt brauchen, bekommen sie direkt an den Arbeitsplatz geliefert. Sie selbst müssen nur noch rüsten und bearbeiten.“

Das gilt auch für die Fachkräfte, die sich um die Organisation und Abwicklung der Fertigung kümmern: Dank der neuen Transparenz wissen sie zu jeder Zeit, wo sich welches Material befindet, wie ausgelastet die Maschinen sind und wie weit die Bearbeitung des Produkts vorangeschritten ist. „Ihr Workload wird um ein Vielfaches reduziert“, erklärt Möser zuversichtlich. „Erst wenn die Systeme bestimmte Probleme nicht lösen können – zum Beispiel, weil ein Zulieferteil im Lager fehlt, – wird ein Mensch zur Hilfe gerufen. Die Mitarbeiter werden also nicht mehr als Hin- und Herschieber von Kisten genutzt, sondern zum Problemlöser.“ Er ist sich sicher: „Nur wer schnell und flexibel auf Kundenwünsche reagieren kann, ohne dass Chaos entsteht, bleibt langfristig am Markt erfolgreich. Produktion und Logistik als verschiedene Paar Schuhe zu betrachten, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.“

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