Interrolls CEO Ingo Steinkrüger exklusiv in materialfluss
„Kurzum: Es ist und bleibt spannend!“
Zum 1. Mai vergangenen Jahres übernahm Ingo Steinkrüger bei der Interroll Group die Position des CEO. Im Exklusiv-Interview verrät der Nachfolger von Paul Zumbühl, wohin die Reise geht bei dem internationalen Player mit Schweizer Wurzeln – und wofür das Traditionsunternehmen künftig stehen soll.
materialfluss: Herr Steinkrüger, Sie stehen seit etwas mehr als einem halben Jahr an der Spitze von Interroll – wie waren die ersten 200 Tage?
Ingo Steinkrüger: Sehr spannend. Wir arbeiten in einer sehr dynamischen Branche, die attraktive Zukunftsperspektiven bietet – übrigens für alle kompetenten Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette. Ich habe bei Interroll ein Team angetroffen, das sein Metier wirklich sehr gut beherrscht. Wir haben in den ersten 200 Tagen viele interessante Ideen ausgetauscht, mit den internationalen Führungskräften und auch vor Ort in unseren Werken. Es gibt eine Menge neuer Dinge, die wir nun nach und nach verwirklichen werden. Kurzum: Es ist und bleibt spannend!
mfl: Was fanden Sie nicht so spannend in den ersten Tagen?
Steinkrüger: Natürlich das Corona-Thema und auch die Weltmarktsituation. Sich direkt nach dem Start mit Materialknappheit auseinandersetzen zu müssen, war nicht erbaulich.
mfl: Die Materialknappheit ist in der Tat ein großes Thema der Branche. Wie dramatisch ist die Lage in Ihrem Unternehmen?
Steinkrüger: Ich würde nicht von Dramatik sprechen, eher von einer hochangespannten Lage. Die Herausforderung betrifft einige unserer Materialgruppen und es ist eine Meisterleistung unseres Teams, die Nachfrage der Kunden bedienen zu können.
mfl: Ist Interroll groß genug, um sich im Wettbewerb um die Ressourcen durchzusetzen?
Steinkrüger: Die Größe ist hier nicht das entscheidende Thema. Wir haben Technologien im Angebot, die unsere Kunden sehr schnell einsetzen möchten und die für sie wichtig sind.
mfl: Sie kamen aus dem Bereich System Engineering – wie weit oder nah war da der Weg in die Intralogistik?
Steinkrüger: Was die Produktionslogistik angeht, gibt es eine enge Verbindung zu meiner früheren Tätigkeit. Aber die Automobilbranche insgesamt ist natürlich schon anders aufgestellt als die Intralogistik. Dies bietet aber auch die Chance, Erfahrungen und Know-how in den Intralogistikbereich einbringen zu können.
mfl: Wie lange brauchen Sie noch, das neue Set-up zu durchdringen?
Steinkrüger: Man lernt bekanntlich nie aus. Für mich ist es wichtig, den Markt und die Kunden genau zu verstehen. Deswegen habe ich trotz Corona in kurzer Zeit einen intensiven Kontakt zu unseren Kunden und zu meinem Team aufgebaut. Vor der aktuellen Corona-Welle konnte ich viele Kunden auch persönlich besuchen.
mfl: Ein Wort zu Ihrem Vorgänger, der durch seine mehr als 20-jährige Tätigkeit für Interroll in der Branche sehr bekannt war – welchen guten Rat hat Ihnen Herr Zumbühl zu Ihrem Start bei Interroll mitgegeben?
Steinkrüger: Das Positive an unserer Zusammenarbeit ist, dass wir unsere Vorstellungen und Erfahrungen intensiv austauschen. Wir lernen deshalb viel voneinander. Wir ergänzen uns sehr gut, das macht viel Spaß.
mfl: Sind Sie sich vorher schon mal im Business begegnet?
Steinkrüger: Nein.
mfl: Wie gehen Sie mit den großen Fußstapfen um, in die Sie getreten sind? Haben Sie Vorbehalte gegenüber „dem Neuen“ verspürt? Wie ist die Lage nun, nach 200 Tagen?
Steinkrüger: Da gehe ich sehr gut mit um, da ich hier in meinem beruflichen Leben bereits viel Erfahrung sammeln konnte. In solchen Fällen gibt es in der Regel zwei Haltungen in den Unternehmen: Die eine Seite ist eher unsicher und stellt sich Fragen, was Veränderungen bedeuten können – die andere ist neugierig und freut sich auf Neues. Vor diesem Hintergrund ist es uns gelungen, einen sauberen Übergang hinzubekommen und das Team auch unter dem neuen CEO gut auszurichten.
mfl: Schauen wir auf die Ebene der Konzernleitung – Ihr Sechserteam ist mit zwei Deutschen, einem Chinesen, einem Italiener, einem Amerikaner und einem Schweizer sehr international besetzt. Welche Amtssprache haben Sie festgelegt?
Steinkrüger: Chinesisch (lacht). Nein, wir sprechen Englisch und schweifen ab und zu ins Deutsche ab. Derzeit lerne ich zudem noch ein wenig Italienisch. Wenn wir alle zusammenkommen, wird konsequent Englisch gesprochen.
mfl: Worauf können Sie sich einigen? Gibt es ein gemeinsames Hobby?
Steinkrüger: Wir können uns alle auf gemeinsame Leadership-Werte einigen. Daneben auch auf das Essen (schmunzelt).
mfl: Welche Vorteile ergeben sich Ihrer Meinung nach aus der Internationalität?
Steinkrüger: Sie ist unser Credo. Unternehmen sind dann in der Lage, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, wenn sie unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen. Das ist auch ein Grund, warum unsere Führungskräfte aus der Region oder dem Land kommen, für das sie verantwortlich sind.
mfl: Wo drückt der Schuh bei Ihren Kunden? Welche Eindrücke haben Sie bei Ihren Reisen gewonnen?
Steinkrüger: Abgesehen von der aktuellen Pandemie-Situation treiben unsere Kunden im normalen Alltag im Wesentlichen drei Dinge um: Erstens geht es um Geschwindigkeit. Unsere Kunden, also Systemintegratoren und Anlagenbauer, brauchen schnell einsetzbare Lösungen, damit ihre eigenen Kunden möglichst rasch damit arbeiten können. Es geht hier nicht nur um Lieferzeit, sondern auch um die Reaktionszeit, wenn sich eine neue Aufgabe stellt. Das zweite Thema ist der Kundenservice. Wo kommt das Material her? Von woher muss der Techniker anreisen, der mein Problem löst? Und das dritte Thema der Kunden ist es, eine Informationsbasis zu besitzen, mit der sie schnell und zuverlässig arbeiten und entscheiden können – beispielsweise wenn sie ihre Lösungen konstruieren. In struktureller Hinsicht kamen diese drei Aspekte immer wieder zur Sprache. Unser Selbstverständnis bildet diese Anforderungen sehr gut ab: Interroll hat sich der Qualität, der Geschwindigkeit und der Einfachheit verschrieben – an diesen Leitbegriffen richten wir seit jeher unsere Strategie aus.
mfl: Hierzulande war Interroll mit einer Truck Roadshow unterwegs – wie entstand diese für die Intralogistikbranche eher ungewöhnliche Idee?
Steinkrüger: Die Idee ist bereits vor der der Pandemie entstanden, hat uns aber während der Pandemie sehr stark geholfen. Videokonferenzen können viel ersetzen, aber sich persönlich zu treffen, besitzt noch einmal eine andere Qualität. Wir wollten zu unseren Kunden reisen. Die Stationen der Europatour wurden in der Planungsphase immer zahlreicher, da unsere Kunden und Partner von dem Projekt begeistert waren. Es haben sich vor Ort echte Interessengemeinschaften gebildet, die beispielsweise aus Systemintegratoren und deren Kunden bestanden. Der Austausch war sehr fruchtbar und wir konnten auch neue Kunden gewinnen.
mfl: Gibt es eine Fortsetzung?
Steinkrüger: Ja, definitiv. Wir werden auch 2022 wieder den direk- ten Kontakt via unserer Truck Roadshow zu unseren Kunden suchen.
mfl: Kann eine Roadshow eine klassische Messe ersetzen?
Steinkrüger: Für eine grundsätzliche Bewertung dieser Frage ist es noch zu früh. Wir werden 2022 zweigleisig fahren und beispielsweise auch auf der LogiMAT ausstellen. Natürlich ist das auch eine finanzielle Frage, wir müssen schauen, wie wir unser Budget möglichst effizient einsetzen.
mfl: Manager investieren in der Regel in Steine und Beine – Sie haben mit Mosbach, der Erweiterung von Baal und dem neuen Werk in Suzhou einige große Baustellen vor beziehungsweise hinter sich. Wie geht es voran, wie ist der Stand der Dinge?
Steinkrüger: In Suzhou befinden wir uns im Endspurt und können 2022 in den neuen Standort umziehen und die wesentlich größeren Flächen nutzen. Mosbach läuft bereits seit Mitte 2021. Hier fertigen wir das Produktportfolio rund um unsere modularen Plattformen für die Behälter- und Palettenförderung, die Gurtkurven und das jüngste Produkt, den Smart Pallet Mover. Der Hochlauf der einzelnen Produkte läuft nun an. Durch die Verlagerung ist im bestehenden Werk Sinsheim Platz frei geworden, den wir komplett für unser Sorterangebot nutzen. In Baal wird unser Standort ebenfalls vergrößert. Hintergrund ist eine Erweiterung unseres Produktportfolios für die Lebensmittelbranche. Wir werden uns für diese Branche produktseitig deutlich breiter aufstellen.
mfl: Wann verraten Sie uns mehr?
Steinkrüger: Um die Mitte des Jahres herum dürften Sie mehr wissen.
mfl: Warum im Lebensmittelbereich?
Steinkrüger: Wir versuchen, nicht mit „Me-too“-Lösungen unterwegs zu sein, sondern besondere Herausforderungen in bestimmten Branchen zu identifizieren. In der Lebensmittelindustrie gibt es da ein paar Dinge, die wir in Lösungen mit Alleinstellungsmerkmal überführen.
mfl: Hier eine Erweiterung, da ein Neubau – die Perspektive geht eindeutig nach oben für Ihr Unternehmen …
Steinkrüger: Ich will es so beschreiben: Die Nachfrage nach Interroll-Produkten ist weiterhin sehr gut.
mfl: Wie hoch ist die Auslastung?
Steinkrüger: Diese ist bezogen auf die Produktgruppen und Regionen unterschiedlich, aber wir sind mit der aktuellen Situation sehr zufrieden (schmunzelt).
mfl: Haben Sie noch genügend Mitarbeiter für den Auftragseingang?
Steinkrüger: Uns ist es sehr wichtig, in die eigene Qualifikation und Weiterbildung unserer Mitarbeiter zu investieren, somit haben wir aktuell keine Schwierigkeiten, ausreichend geeignetes Personal zu finden.
mfl: Welche Werte und welche Kultur will Interroll vertreten?
Steinkrüger: Unsere Werte sind sehr langfristig ausgerichtet. Was Interroll immer geprägt hat, ist die Business Excellence, also ein Umfeld zu schaffen, das Spitzenleistungen ermöglicht. In allen Bereichen – von den Budgetmeetings bis zur Produktentwicklung und den aktuellen Anstrengungen zur Verbesserung der Liefersituation. Das zweite Merkmal ist Offenheit: Wir hören zu und wollen verstehen. Dann die Internationalität: Wir wollen vor Ort sein und nicht nur aus Europa heraus agieren.
mfl: Wie kommuniziert man solche Ansätze nach innen?
Steinkrüger: Die beste Methode ist es, dies vorzuleben. Wasser predigen und Wein trinken wird nie funktionieren. Ich habe gelernt, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Regel an zwei Führungspersonen orientieren: den direkten Vorgesetzten und den CEO oder Vorstandsvorsitzenden. Wenn die Führungskräfte vorleben, was sie einfordern, können sie es auch umsetzen. Es geht also um innere Überzeugung, Stringenz und Disziplin.
mfl: Wie zufrieden sind Sie mit dem Start des Smart Pallet Mover?
Steinkrüger: Sehr. Der Markt ist neugierig und das Produkt hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Die ersten Produkte sind bereits verkauft. Weil es ein komplett neues Geschäftsfeld ist, das wir nun bearbeiten, und wir uns bei dieser Lösung auch nicht im Lösungsbereich der AMR oder AGV bewegen, muss das Verständnis des Marktes für die Einzigartigkeit der Lösung aber noch wachsen.
mfl: AGV und AMR bekommen derzeit sehr viel Aufmerksamkeit ...
Steinkrüger: Ja. Das kommt uns gelegen. Denn wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserem Produktportfolio und unseren Technologien im Bereich des Materialflusses gut aufgestellt sind. Wir sehen hier ganz klar, dass sich die Technologien ergänzen.
mfl: Auch im Bereich Software & Steuerungen gibt Interroll derzeit Gas. Wie ist der Stand der Dinge?
Steinkrüger: Anfang 2021 haben wir mit der Übernahme der MITMacher GmbH ein neues Center of Excellence Software & Electronics gegründet. Das Center hat stark Fahrt aufgenommen. Ein Beispiel: Wir können nun für unsere eigenen Sorter eine eigene Steuerung anbieten, die unseren Geschäftspartner die Arbeit erleichtert.
mfl: Auch im Bereich Software?
Steinkrüger: Gerade im Bereich der Software, ja. Aber dazu bitte eine kleine Ergänzung von mir: Ich möchte an dieser Stelle eins klar sagen. Interroll wird immer schnell mit der Frage konfrontiert, ob wir uns nicht zu einem Systemintegrator entwickeln. Ich habe hier eine klare Antwort: Nein, werden wir nicht. Wir sind ein Technologieunternehmen, das Produkte liefern will, die die Integratoren und OEMs optimal bei ihren Lösungen unterstützt. Wir wollen ein umfassendes Portfolio von der einzelnen Rolle bis zu kompletten Förderern und Sortern bieten. Unsere Kompetenz steckt in Produkten und Technologien, nicht in der Systemintegration. Das sind ganz andere Fähigkeiten in der Wertschöpfungskette. Wir sind und bleiben neutral. Unser Ziel ist es, den technologischen Fortschritt maßgeblich zu prägen.
mfl: Es wird also auch keinen „preferred Partner“ geben?
Steinkrüger: Auch hier ein klares und deutliches Nein. Unser Selbstverständnis ist sehr schweizerisch, sprich wir bleiben neutral (schmunzelt).
mfl: Das wäre an sich schon ein schönes Schlusswort, ich will dennoch noch eine Frage stellen: Wie wird die Konjunktur sich Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr entwickeln? Und wie Interroll?
Steinkrüger: Wir bleiben vorsichtig optimistisch.
mfl: Danke für das Gespräch!
Das Interview mit Ingo Steinkrüger führte Martin Schrüfer Ende November 2021 – einmal mehr pandemiebedingt via Videotelefonie und nicht live und in Farbe. Es bleibt die Hoffnung auf die Zeit „nach Corona“.
Der Beitrag erschien in materialfluss 1-2/22.