Lagerlogistik
Elektrobodenbahn: Performanz auf engstem Raum
Mit sehr kompakten Rail Carts schafft ein neues Elektrobodenbahnsystem Mehrwerte in der Lagerlogistik. Es ermöglicht auf weniger Fläche eine flexibel variierbare Anzahl autarker Schienenwagen, die sich dynamisch dicht an dicht verfahren und präzise positionieren lassen. Zur platzsparenden Bauweise tragen kompakte, induktiv versorgte Frequenzumrichter und Getriebemotoren im Inneren bei.
Aus der automatisierten Lagertechnik kommend, kennt man bei Dambach Lagersysteme die ständig wachsenden Anforderungen in der Lagerlogistik von der Pike auf. Das Unternehmen aus Bischweier bei Baden-Baden entwickelt und fertigt seit über 45 Jahren unter anderem Regalbediengeräte, Fördertechnik, Lastaufnahmemittel und Shuttle-Systeme für Systemintegratoren weltweit. Die Weiterentwicklung im Systembaukasten für Lager- und Materialflusstechnik ist das Elektrobodenbahnsystem Monoflex mit hybridem Lastaufnahmemittel.
60 Prozent geringeres Eigengewicht der Transportfahrzeuge
Das Monoflex-System mit seinen Rail Carts genannten, schienengeführten Transportfahrzeugen fußt auf der mehrjährigen praktischen Erfahrung von Dambach in diesem speziellen Bereich und antizipiert die Anforderungen der Zukunft. Es ist hoch dynamisch, flexibel skalierbar in der Leistung, extrem kompakt und trotz Leichtbauweise sehr belastbar. Bei rund 60 Prozent geringerem Eigengewicht der Transportfahrzeuge im Vergleich zu anderen Lösungen können damit Lasten von bis zu 1.600 Kilogramm mit rund 40 Prozent weniger Energieeinsatz transportiert werden. Das geringere Flächengewicht des Gesamtsystems ermöglicht auch den Einbau in weniger belastbaren Bestandsbauten.
Das Zweischienensystem ist leicht zu installieren, verschiedene Bögen und eine schnelle Verteilweiche ermöglichen komplexe Anlagenlayouts auf engstem Raum. Dank kürzester Weichenumschaltzeiten ist bei einer 1:1-Verteilung des Materialflussstromes eine Durchsatzleistung von 450 Fahrzeugen pro Stunde erreichbar. Über schnelle Fahrzeugwechsel und Fahrzeugeinschleusungen lassen sich Leistungsspitzen im Materialfluss einfach abdecken. Die niedrige Bauhöhe der Fahrschiene und die kompakten Fahrwagen ermöglichen eine Ladungsübergabehöhe von nur 700 Millimeter. Unterschiedliche Lastaufnahmemittel mit optionaler Verschiebeeinheit erhöhen die Systemflexibilität weiter.
Automatisierung aus einem Guss
Von Grund auf neu gedacht hat Dambach das Steuerungs- und Antriebkonzept der Rail Carts sowie deren fehlersichere Kommunikation über Industrial Wireless LAN (IWLAN). Im Fokus stand dabei ein durchgängiger Ansatz, basierend auf industriebewährten, weltweit etablierten und zugelassenen Standardkomponenten. Unter anderem Geräte der Siemens-Baureihe Scalance S, die auf Wunsch auch individuellen Schutz vor potenziellen Angriffen auf das industrielle Kommunikationsnetz (Cybersecurity) bieten.
Dambach realisiert damit ein verteiltes Steuerungskonzept mit überlagerter Kopfsteuerung und dezentralen, autark arbeitenden Transportfahrzeugsteuerung, alle in fehlersicherer Ausführung aus dem Simatic-S7-1500-Portfolio von Siemens. Dabei erfüllten vor allem die kostenoptimierten dezentralen Controller in puncto Ausstattung und Baugröße exakt die Anforderungen. Die Fahrzeuge kommunizieren über sogenannte Leckwellenleiter (RCoax-Antennen) entlang der Fahrstrecke(n). Das bewährte IWLAN-Kabel mit exakt definiertem Funkfeld ist prädestiniert für logistische Anwendungen mit vielen beweglichen Komponenten in schwieriger, von Reflexionen geprägter Umgebung.
Die Fahraufträge werden zentral koordiniert, Sicherheitsbereiche, Fahrstrecken und Auftragszuordnungen überwacht und im neuen SCADA-System basierend auf Simatic WinCC visualisiert. Wobei jedes Fahrzeug seine Fahrdynamik selbst anpasst und sich präzise positioniert. Und zwar so genau, dass Abstände von minimal 35 Millimeter auf den Strecken und im Bereich von 25 Millimeter an den Auf- und Abgabeplätzen sicher möglich sind. So übergeben mitunter zwei Fahrwagen gleichzeitig nebeneinander ihre Ladung auf engstem Raum.
Sicherheit im Einsatz
Im Fehlerfall, beispielsweise beim Auslösen eines Not-Stopps oder dem Öffnen einer Schutztür, werden die Fahrzeuge im relevanten Sicherheitsbereich kontrolliert stillgesetzt und deren Antriebe in einen sicheren Zustand gebracht. Die Datenübertragung via Profinet und Profisafe läuft über industriebewährte, auf den Dambach-Rail-Carts mitfahrende IWLAN-Clients Scalance W734-1 und mehrere stationäre, über die Anlage verteilte IWLAN Access Points Scalance W778. Dies gewährleistet sehr kurze, deterministische Reaktionszeiten – ergo höchste Sicherheit. Die zum neuen Dambach-Standard avancierte IWLAN-Technik ist für den weltweiten Einsatz zertifiziert und ohne nachträgliche Prüfung einsetzbar, was internationale Projekte weiter vereinfacht.
Auch bei der Antriebstechnik seiner Rail Carts setzt der Logistikspezialist auf Siemens, wobei die induktive Gleichspannungs-Stromversorgung und die Maßgabe einer sichtbar kompakteren Bauweise den Spielraum definiert haben. Gemeinsam wurden dafür geeignete Simogear-Getriebemotoren und Sinamics-Frequenzumrichter spezifiziert und für den Betrieb an 500 Volt respektive 720 Volt Gleichspannung geprüft und qualifiziert. Den Fahrantrieb regelt ein leistungsstarker Sinamics G120 im Schaltkasten mit übergeordneter Lageregelung im Simatic-Technologieobjekt.
Für die Auslegerbewegung kommt ein Simogear-Getriebemotor mit motormontiertem Frequenzumrichter Sinamics G115D im Unterbau der Wagen zum Einsatz. Das System unterstützt Temperaturbereiche von bis zu –30 °C und adressiert somit auch anspruchsvolle Tiefkühlanwendungen. Die Multizertifizierung ermöglicht den internationalen Einsatz ohne spezifische Ländervarianten.
"Beiden Umrichtern merkt man ihre Abstammung von den High-End-Geräten an, insbesondere die in dieser Preis-/Geräteklasse unüblich hohe Regelgüte und Vielseitigkeit", sagt Dirk Lorenz, Produktmanager bei Dambach. "So konnten wir auf der Strecke eine dynamische geberlose Vektorregelung und an den Übergabestationen eine präzise Lageregelung per SPS realisieren". Die Software beider Umrichter unterstützt als Grundausstattung die Safety-Funktion STO (Safe Torque Off) via Profisafe, so dass sich die geforderte Sicherheit ohne zusätzliche Hardware und aufwändige Verdrahtung umsetzen ließ.
Die Antriebsspezialisten von Siemens haben zudem zu einer Lösung beigetragen, womit sich die Umrichter in jeder Betriebssituation an der Leistungsgrenze der induktiven Einspeisung betreiben lassen, die bei 500 Volt Gleichstrom bei 3 Kilowatt liegt. Diese ermöglicht eine Beschleunigung von bis zu 0,7 m/s² sowie Fahrgeschwindigkeiten von bis zu 150 m/min und verhindert unzulässiges Überlasten der induktiven Leistungsversorgung (Unterschreiten der Zwischenkreisspannung) und damit Störungen bei gleichzeitig höchster Beschleunigungsausbeute. Neben der zentralen Visualisierung im SCADA-System gibt es an jedem Fahrzeug sowie an wichtigen Knotenpunkten eine Anschlussbox für ein tragbares HMI(Human-Machine-Interface)-Gerät, derzeit das Simatic HMI KTP900F Mobile mit 9-Zoll-TFT-Display. Damit lassen sich lokalisierte Bildinhalte abrufen und beispielsweise Schienenwagen im Handbetrieb verfahren. All das bei einer Baulänge der Transportfahrzeuge, die die Länge einer Europalette nur wenig überragt.
Engineering unter einem Dach
Ein entscheidender Mehrwert einer durchgängigen Automatisierungslösung von Siemens ist das gemeinsame Engineering für Steuerung, Peripherie, HMI, Antriebe und Kommunikation im Totally Integrated Automation Portal, kurz TIA Portal. Das vereinheitlicht die Projektierung und Programmierung von Standard- und Sicherheitsaufgaben, erspart Mehrfacheingaben in zuvor verschiedenen Programmen und verkürzt unter anderem mit vorgefertigten Standard-, Safety-, Motion-Control- und HMI-Bausteinen (Templates) das Engineering. Einfach darin integriert werden konnte eine standardisierte Siemens-Bausteinbibliothek für Intralogistikanwendungen, so dass sich auch sämtliche Aufgaben der Fahrzeugkoordination und Materialflusssteuerung sehr schnell umsetzen ließen.
"Durch den Einsatz ausgewählter Siemens-Komponenten konnten wir der immer wichtiger werdenden Kundenforderung nach optimaler Raumausnutzung gerecht werden", ergänzt Dirk Lorenz. Die kompakten Umrichter und Controller haben maßgeblich dazu beigetragen, das anvisierte Ziel eines rund 20 Prozent kleineren Rail Carts zu realisieren und auch den immer engen Kostenrahmen einzuhalten. Das Monoflex-System hat sich mittlerweile in mehreren internationalen Projekten in den Bereichen Lebensmittel, Getränke und Automotive bewährt und seine deutlich höhere Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
Bereits in der Realisierungsphase ist Dambach mit der 720-Volt-Variante des Monoflex-Systems, die die bisherige Leistungsbegrenzung aufhebt. Das ermöglicht wiederum eine um rund 25 Prozent höhere Beschleunigung, höhere Transportgeschwindigkeit und somit noch mehr Umschlagsleistung. "Mit dieser Lösung haben wir sowohl in lagerlogistischer als auch automatisierungsseitiger Hinsicht einen sehr modernen, zukunftssicheren Stand der Technik erreicht", so Dirk Lorenz.
Aus materialfluss 6/2023