SSi Schäfers CEO im Interview
„Wichtig ist, dass die Richtung stimmt“
Während der Logimat sprach materialfluss-Chefredakteur Martin Schrüfer ausführlich mit Steffen Bersch, CEO der SSI Schäfer Gruppe.
Die Intralogistik ist eine dynamische Branche mit hoher Nachfrage und komplexen technologischen Herausforderungen. SSI Schäfer, Stammgast im Spitzenbereich des Rankings der materialfluss Top 25 Systemintegratoren, sieht sich hierfür gewappnet und für die Zukunft auf gutem Kurs.
materialfluss: Herr Bersch, Sie haben im Frühsommer durch die Coronapause bedingt Ihre erste Logimat seit der Übernahme der Führung von SSI Schäfer erlebt, welcher Eindruck bleibt bei Ihnen?
Steffen Bersch: Ein sehr positiver! Ich hatte anfangs Bedenken, was den Besucherstrom angeht, aber der Zuspruch war wirklich toll. Das zeigt, dass unser Portfolio den Kundenbedürfnissen entspricht. Während der Lockdown-Zeit hatten wir natürlich auch Kontakte, und die Projekte sind weitergelaufen, aber man musste ein wenig improvisieren.
mfl: Sie sind seit zweieinhalb Jahren CEO der SSI Schäfer Gruppe. Wie lautet Ihre Bilanz bisher?
Bersch: Für mich war das zunächst der Einstieg in eine neue Branche, eine sehr dynamische, und wie ich auch feststellen konnte, sehr anspruchsvolle. Früher hat man die Bedeutung der Intralogistik nicht so wahrgenommen, dies ist heute mitnichten der Fall. Wir reden über eine Branche mit hoher Nachfrage und komplexen technologischen Herausforderungen. Auf SSI Schäfer bezogen kann ich nach meinen ersten zwei Jahren sagen, wir sind auf sehr gutem Kurs und haben wichtige Schritte getan.
mfl: Was macht die Dynamik der Branche aus?
Bersch: Der Drive in Richtung Automatisierung war schon vor der Pandemie da, diese hat ihn aber noch deutlich beschleunigt. SSI Schäfer ist eines der Unternehmen, die dafür Lösungen anbieten können und insbesondere in der Lage sind, komplexe Projekte zu realisieren. Dies gibt uns eine besondere Rolle innerhalb dieses Trends.
mfl: Im Februar 2022 übernahmen Sie zudem den Vorsitz im Fachverband Fördertechnik und Intralogistik des VDMA hinzu. War die Zeit reif dafür?
Bersch: Ach, das sucht man sich nicht so aus. Ich war im VDMA bereits früher in einem anderen Fachverband aktiv, also dort nicht gänzlich unbekannt. Ich habe mich gern zur Verfügung gestellt, da ich denke, dass der VDMA der gesamten Branche eine Stimme gibt. Da sollte man mitmachen. Wir sind sehr aktiv auf dem Gebiet der Digitalisierung und Automatisierung und versuchen, Plattformen zu schaffen. Ein Paradebeispiel hierfür ist die VDA5050-Schnittstelle. Wir haben darüber hinaus viele Themen, die alle betreffen, Konkurrenz hin oder her: Wie man den Nachwuchs für eine Tätigkeit der Intralogistik begeistert, beispielsweise.
mfl: Was steht in Ihrem dritten Jahr an?
Bersch: Zunächst einmal haben wir die Themen Technologie und Innovation innerhalb der Unternehmensstrategie stärker im Fokus. Im Wesentlichen durch eine Förderung der eigenen Entwicklungsaktivitäten, aber auch durch Partnerschaften. Auch im Bereich Nachhaltigkeit gehen wir die nächsten Schritte, unter anderem mit der Veröffentlichung unseres ersten Nachhaltigkeitsreports im August dieses Jahres. Es gibt zahlreiche Projekte, die auf eine Senkung unseres CO2-Footprints abzielen. Aber auch unser unternehmerisches Handeln soll nachhaltiger werden. Eine zentrale Bedeutung hat das Thema Kundenzufriedenheit. Daher messen wir sehr intensiv, wie zufrieden unsere Kunden an den unterschiedlichen Touch-Points wie dem Vertrieb und im Service mit uns sind. Ganz entscheidend ist zudem die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden. Sie haben in dieser schwierigen Zeit sehr viel geleistet.
mfl: Kann man die Pandemie in ihren Auswirkungen mit den Auswirkungen des Ukrainekriegs vergleichen? Ist Letzterer schlimmer für die Unternehmen?
Bersch: Ich denke schon. Für die Pandemie konnte man eine Art Modus Operandi finden. Die Konsequenzen des Ukrainekriegs brachten mit den gestiegenen Energiekosten und der Unterbrechung der Lieferketten gerade für die komplexen Projekte enorme Herausforderungen mit sich, die sauber gemanagt werden müssen.
mfl: Abstriche machen in Anbetracht der aktuellen Lage?
Bersch: Wichtig ist, dass die Richtung stimmt. An oberster Stelle steht die Fokussierung auf die Kunden und Mitarbeitenden. Danach kommen Themen wie Wachstum und Profitabilität. Moderne Technologien und Lösungen werden vom Markt zu Recht gefordert und sind die Basis unseres Wirkens. Was Nachhaltigkeit angeht, rückt diese nur gefühlt nach hinten, denn sie ist essenziell wichtig. Die Politik hat für Unternehmen weitreichende Ziele gesetzt, die bearbeitet werden müssen.
mfl: Von außen entsteht der Eindruck, dass die Zahl der Abgänge bei SSI Schäfer auf prominenter Führungsebene weniger geworden sind und Ruhe eingekehrt ist…
Bersch: Es gab Abgänge wie Zugänge, das ist in einer so starken Transformationsphase nicht unüblich. Wir haben eine Struktur aufgebaut, die in Geschäftsbereiche und Regionen unterteilt ist, plus die Gruppenfunktionen und die Werke. Hier sind alle Top-Positionen nun kompetent besetzt.
mfl: Hat die Transformation bei SSI Schäfer zu spät begonnen?
Bersch: Wenn wir ehrlich sind, das hätte man auch früher machen können. Das ist für familiengeführte Unternehmen, die sich in einem Marktbereich gut eingerichtet haben, auch völlig normal. Hier findet Transformation nicht immer stetig, sondern initiiert statt. Das ist der Unterschied zu kapitalmarktorientierten Unternehmen, die sich alle zwei Jahre so zusagen komplett transformieren.
mfl: Kommen wir auf die Nachhaltigkeit zu sprechen. Was sind die Fortschritte seit der Aufnahme von SSI Schäfer in die Top-50 Sustainability & Climate Leaders?
Bersch: Die Green-Deal-Vorgaben der Europäischen Union bringen mit sich, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe über ihre Nachhaltigkeit Auskunft geben müssen. Das gilt auch für uns. Daher werden wir wie schon erwähnt im Spätsommer dieses Jahres zum ersten Mal einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen. Dieser folgt den GRI-Standards und wird auch breit veröffentlicht. Das ist für ein Unternehmen wie SSI Schäfer, das traditionell keine Zahlen herausgibt, ein großer Schritt.
mfl: Sind dort dann auch Zahlen drin?
Bersch: Es werden auch Zahlen genannt und Ziele für die nächsten Jahre benannt. Sie haben gesehen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal zumindest in der Tendenz Auftragseingang und Umsatz berichtet haben. Das ist ein Novum. Es zeigt, dass wir versuchen, die Kommunikation nach außen offener zu spielen, intern tun wir dies sogar sehr offen. Auch das kann für ein Familienunternehmen ungewöhnlich sein, sollte es aber nicht. Das haben unsere Mitarbeitenden verdient, zu wissen, wo ihr Arbeitgeber steht.
mfl: Ist das Primärziel Nachhaltigkeit derzeit ein Sekundärziel?
Bersch: Angesichts der großen Herausforderungen besteht die Gefahr sicherlich – aber Nachhaltigkeit muss ein Primärziel bleiben. Kurzfristig, so dachten wir, sei es eher weiter hinten auf der Agenda, aber die aktuellen Entwicklungen um Energieknappheit und Energiekostensteigerungen haben uns eines Besseren belehrt.
mfl: Haben Sie zu viele strategische Bälle in der Luft?
Bersch: Nein, auf keinen Fall, wir müssen damit umgehen. Krisen sind Beförderer für neue Themen. Unsere Generation hat das ja noch nicht so richtig erleben müssen bisher, das ist jetzt anders.
mfl: 2020 haben Sie als Ziele Wachstum und interne Synergien genannt. Wie sieht es bei Letzterem aus?
Bersch: Zufrieden soll man nie sein, aber 2019 wurden Software, Automation und Komponentenlieferanten bei uns eher als autark wahrgenommen. Jetzt funktioniert die Zusammenarbeit deutlich besser, die Effekte spiegeln sich auch in den Zahlen. Ein multinationales Unternehmen funktional aufzustellen – das war der Weg. Geht dies immer so schnell, wie wir es uns wünschen? Nicht immer, aber die Organisationsform treibt die Synergien.
mfl: In welchem Kontext kann man die Gründung von SSI Plastics einordnen?
Bersch: Das ist keine Gründung, sondern ein interner Carve-Out. Bisher haben wir den Geschäftsbereich so geführt, dass viele verschiedene Komponenten integriert in einer Unternehmenseinheit zusammen waren. Das fanden wir nicht so effektiv und so wurde alles, was rund um die Abfalltechnik und das Containergeschäft herum ist – sei es mit Kunststoff oder Stahl – als eigenständiger Teilkonzern aufgebaut. Nun wollen wir schauen, ob wir diesen Bereich weiter selbst oder möglicherweise mit einem Partner betreiben wollen. Oder veräußern. Derzeit ist dazu noch keine Entscheidung getroffen. Wir haben diesbezüglich zeitlich keinen Druck. Auf der IFAT hat sich SSI Plastics erstmals eigenständig dargestellt und Gleiches geschieht auch auf der Fachpack in Nürnberg. Der Bereich ist attraktiv, hat aber im Konzert mit der Logistik oftmals nicht die Aufmerksamkeit erfahren, die er verdient hat.
mfl: Automation, Software, Plastics – ist das die aktuelle Dreiteilung?
Bersch: Grob gesagt: Ja. Wir haben Products & Equipment, also das klassische Komponentengeschäft, die Logistics Solutions, die intralogistischen Lösungen, das Servicegeschäft und eben Plastics.
mfl: Wie sieht es mit Akquisen aus?
Bersch: Wir haben das Unternehmen Swan akquiriert, sprich unsere SAP-Aktivitäten erweitert, und sind an weiteren Themen dran, die im Bereich Technologie, Automation und Robotics stattfinden sollen.
mfl: Sprich: alles außer Service (lacht).
Bersch: Wir suchen immer nach Technologien, laufen aber keinen Hirngespinsten hinterher. Es geht um Technologien, auf die wir vertrauen können und die einen gewissen Reifegrad haben. Auf der Logimat haben wir viele tolle Technologien gesehen, die aber erst am Anfang stehen. Wir fördern Start-ups und sammeln Erfahrungen, ob wir diese Technik dann aber in großen Projekten auch schon nutzen können, ist die andere Frage.
mfl: Ist Robotik „das nächste Ding“ oder ist es die Software?
Bersch: Am Ende lebt auch der Roboter von der Software, die ihn betreibt. Grundsätzlich spielt die Musik auf der Softwareseite, davon bin ich überzeugt.
mfl: Und im Lager? Fördertechnik oder AGV?
Bersch: Hängt vom Einsatzzweck ab. Wir werden eine starke Entwicklung bei den AGV sehen, aber kein Sterben der Fördertechnik.
mfl: Die Welle an Konsolidierungen ist ungebrochen. Ist SSI Schäfer groß genug, um sich zurücklehnen zu können?
Bersch: Entspannt kann man nie sein, man muss immer seine Position kennen. Das ist eine reichlich unkonkrete Antwort, aber seien Sie versichert: Wir schauen ständig auf den Markt und auf Entwicklungsmöglichkeiten für uns.
mfl: Mitsubishi hätte noch keinen Partner …
Bersch: Ich kenne noch andere, die keinen Partner haben. M&A ist kein Thema im Moment für uns.
mfl: Gibt es 2032 noch den intralogistischen Mittelstand?
Bersch: Ich denke ja, denn der Markt ist so vielfältig, dass es nicht zu erwarten ist, dass einige wenige Große den kompletten Markt abdecken. In anderen Branchen wurde auch bereits das Ende des Mittelstands vorausgesagt, es ist nur nie eingetreten. Bestimmte Kundengruppen und -größen wollen mit bestimmten Lieferantengrößen zusammenarbeiten und so weiter. Ob es so aussieht wie heute in der Marktstruktur, ist die andere Frage. Size matters – große Konzerne werden zu wachsen versuchen. Bringt das immer Synergien? Ich weiß es nicht, es wird gute wie schlechte Beispiele geben.
mfl: Herr Bersch, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Der Beitrag erschien in materialfluss 8-9/22.